Sonabit et in populis: 'Vivit' et 'non vivit'

Er lebt und lebt nicht

Roman von Angela Gantke über den Staufer Friedrich II.

Mit Bezug auf den verstorbenen Kaiser Friedrich II. zitiert der Franziskanermönch Salimbene von Parma in seiner zeitgenössischen Chronik die Sibylle von Erythrai: "Und es wird tönen in den Völkern: 'Er lebt' und 'Er lebt nicht'."1 Unter diesem Motto hat Angela Gantke einen packenden Debütroman geschrieben. Hier das Exposé:

Das Kino, in dem ich sitze, ist menschenleer. Doch übermächtig ist mein Traum. Ich träume davon, Kaiser Friedrich II. von seinem Sterbebett auferstehen zu lassen, um ihm seine tausend Fragen nach allen Geheimnissen zwischen Himmel und Erde richtig zu beantworten. Ein toter Wissenschaftler kommt auf mich zu. Er sucht nach einer Testperson für sein Experiment. Als junge und schöne Agnes schickt er mich durch Raum und Zeit zurück durch die Jahrhunderte. Es ist Dezember im Jahr des Herrn 1250. Auf Castel Fiorentino in Apulien liegt Kaiser Friedrich II. im Sterben.

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Agnes ist dort, wird aber nicht angehört. Sie landet im Kerker und muss um ihr Leben fürchten bis Manfred, der Sohn des Kaisers, ihre Freilassung befiehlt. Sie soll ihre Heilkünste beweisen. Weil ihr das Unmögliche gelingt, wird sie als Hexe verdächtigt. Doch Manfred hatte gesehen, wie sein sterbender Vater ins Leben zurückgekehrt ist. Hexerei war das nicht. Davon überzeugt er den misstrauischen Erzbischof Berard von Palermo. Der Kaiser selbst glaubt nur an die Gnade Gottes und an seine eigene Lebenswut. Er wollte nicht sterben. Das höchste Herrscheramt kommt für ihn aber nicht mehr infrage. Gott hat ihm ein anderes Leben geschenkt, in einer Zwischenwelt. Bevor er die Hexe in Augenschein nimmt, soll sie streng bewacht werden von seinen Sarazenen und im uralten Turm hausen. Dort entdeckt Agnes kostbare Schätze. Sie allein weiß um deren Wert. Doch ihre wahre Identität hat sie verloren.

Normalerweise lese ich fast nur Fachliteratur. Nicht in der Realität spielende Romane wie dieses "Traumbuch" versuche ich besonders weiträumig zu umgehen. Daher war ich wenig begeistert, als es für mich unter dem Weihnachtsbaum lag. Umso überraschter war ich über mich selbst, dass ich diese mitreißenden fünfhundert Seiten dann fast am Stück und mit großer Begeisterung gelesen habe.

Peter Koblank
Redaktion stauferstelen.net

Mittlerweile sind die Bürger von Fiorentino vom Hexenwahn besessen. Und berauscht von der unverhofften Heilung seines Vaters befiehlt Manfred den Musenhof und Poetenkreis vom Herrschaftssitz in Foggia nach Castel Fiorentino. Das hat böse Folgen. Der Kaiser lässt sich seine Bücher, in denen das Wissen großer Gelehrter aufgeschrieben steht, kommen. Auf Castel Fiorentino wird er bleiben, auf ewig. Und er wird nur noch das tun, was er lange schon tun wollte. Manfred und seine Getreuen sind zutiefst bestürzt, als er ihnen seinen Entschluss verkündet. Zum letzten Mal will er mit ihnen Weihnachten feiern. An diesem Tag sieht Agnes den Kaiser zum ersten Mal in seiner Pracht und Herrlichkeit. Am Morgen nach dem Fest folgt ein großes Abschiednehmen. Alle, den Erzbischof Berard von Palermo, die Gesandten aus seiner Geburtsstadt Jesi und sogar seinen Lieblingssohn Manfred, schickt er fort. Sein Leibarzt Johannes von Procida bittet um Entlassung.

Dann endlich lernt Agnes Kaiser Friedrich II. richtig kennen. Ein aufregendes Frage- und Antwortspiel beginnt, das für sie nicht ungefährlich ist. Eines Tages lässt er ihr Schreibutensilien geben. Sie soll ihm seine Fragen schriftlich beantworten. Auf einer Seite darf sie ihre Fragen an ihn formulieren. In einer Vollmondnacht sitzt sie im Turmzimmer und schreibt. Plötzlich steht er hinter ihr. Sie soll ihm das Geheimnis des Mondes verraten. Sie steigen auf die Wehrplattform. Von dem, was Agnes ihm über das Zusammenspiel von Mond, Erde und Sonne erzählt, ist er tief beeindruckt. Bald soll sie ihm das ganze Universum erklären. Das aber kann Agnes nicht. Sie wird krank und muss in seinem Bett liegen, weil sie dort am sichersten aufgehoben ist, wie er sagt. Er selbst braucht sein Bett nicht mehr. Er sitzt nur noch an seinem Arbeitstisch hinter seinen großen und dicken Büchern, schreibt und rechnet. Seine Vermutung, dass Agnes keine Hexe ist, bestätigt sich, als er heimlich ihren Körper untersucht.

Bald aber hat er den Verdacht, dass Gott sich im Rausch seiner unendlichen Gnade für ihn vergriffen haben könnte mit dieser jungen Frau. Sie hat kein tief greifendes Wissen. Außerdem interessiert sie sich für seine privaten Angelegenheiten und Bettgeschichten. Agnes ist hingerissen von diesem faszinierenden Mann. Als sie bedenkt, dass er auch noch eine grausame Seite hat, ist es zu spät. Von ihrer angeblichen Gelehrsamkeit getäuscht, schmiedet er einen verhängnisvollen Plan. Zunächst lässt er Agnes im Turmzimmer einsperren. Dort liegt noch eine übrig gebliebene Pergamentseite. Sie zeichnet sein Porträt. Dieses Kunstwerk ist der Schlusspunkt ihrer Traumreise. Das fühlt sie und auch, dass ihr Ende furchtbar sein wird.

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Ich erwache im Kino und frage mich, ob das alles nicht viel mehr war als nur ein Traum.

1.  Cronica fratris Salimbene de Adam ordinis Minorum, MGH SS, Band 32, S. 174, Zeile 5-6.

Angela Gantke:
Er lebt und lebt nicht.Traumbuch über Kaiser Friedrich II.
Manuela Kinzel Verlag, Dessau-Rosslau, 2012, 500 Seiten
ISBN 978-3-937367-67-5

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