Überlingen will keine Stauferstele
Oberbürgermeisterin Sabine Becker lehnt Angebot der "Stauferfreunde" nach Rücksprache mit Experten und Kulturausschuss ab.
VON HANSPETER WALTER
Inzwischen wissen wir: Selbst handfeste Dokumente sind oft nicht eindeutig zu datieren, wie die Urkunde im Kloster St. Gallen mit der ersten bekannten Erwähnung des Ortes "Iburinga" zeigt. Doch immerhin gibt es dieses Dokument, das aus Expertensicht eher auf das Jahr 723 als auf das Jahr 720 weist. Wobei die Entscheidung über den Zeitpunkt einer 1300-Jahr-Feier im Landesgartenschaujahr 2020 noch offen ist. Schlechter sieht es zur Quellenlage bei dem in vielen Büchern und Publikationen bis heute gerne zitierten Verweis auf das Marktrecht aus, das Überlingen um das Jahr 1180 von Kaiser Friedrich Barbarossa verliehen worden sein soll.
Von einer "Verleihung" des Marktrechts ist bei "Wikipedia" die Rede, der ehemalige Stadtarchivar Wolfgang Bühler formulierte es in seiner Chronik aus dem Jahr 1970 etwas unverfänglicher und unpräziser. "Wie bei anderen Stadtgründungen Barbarossas", heißt es da unter anderem, "... ist eine Urkunde über die Erhebung zur Stadt und die Verleihung des Marktrechts nicht erhalten." Doch nachdem 1191 ein "königlicher Beamter" in Überlingen bereits den Titel eines "minister" geführt habe, schreibt Bühler, "dürfen wir annehmen, dass der Markt und die Stadt Überlingen wahrscheinlich gegen Ende der Regierungszeit Barbarossas um 1180 angelegt wurden. 1187 hat der Kaiser die Stadt selbst besucht."
Populär aber unscharf
Die hier deutlich werdende historische Unschärferelation – je präziser man prüft, desto mehr wächst die Ungewissheit – behagt nicht jedem. So wird die Zeitangabe "um 1180" zwar gerne übernommen, die Verleihung des Markt- und Stadtrechts wird großzügig ergänzt. Das lässt sich schließlich prägnanter formulieren. Auch Überlingen ist Opfer einer Verkürzung der historischen Tatsachen. Auf der Homepage der Kur- und Touristik Überlingen ist unter www.ueberlingen-bodensee.de nachzulesen: "Der Stauferkaiser Friedrich I. Barbarossa verlieh der Siedlung 1180/1 das Marktrecht, unter Friedrich II. wurde im frühen 13. Jahrhundert aus dem Markt eine 'königliche Stadt'."
Eine geringfügig relativierte Light-Variante des Themas findet sich auch noch auf der nagelneuen Internetseite der Stadt: "Die ältesten Teile des Stadtkerns um Münster und Rathaus bis zum wohlerhaltenen 'inneren Ring' der Stadtbefestigung, heute auch durch das gotische Franziskanertor markiert, gehen vermutlich auf die Staufer zurück, vielleicht auf Kaiser Friedrich I. Barbarossa, der Überlingen um 1180 das Marktrecht verlieh. (...) Die Erhebung zur Stadt erfolgte um 1210/20 unter König Friedrich II. und nach dem Aussterben der Staufer 1268 errang Überlingen den Status einer Reichsstadt."
Komitee "baut" Geschichte
Nicht nur Nägel mit Köpfen machen, sondern sogar Fakten mit Stelen zementieren zu wollen scheint das "Komitee der Stauferfreunde", das gerne die Erinnerung an das erfolgreiche Adelsgeschlecht wachhalten will. Unter dem Vorsitz des ehemaligen Oberbürgermeisters von Dinkelsbühl, Andreas Raab, hat das Komitee im Jahr 2000 erstmals eine oktogonale Stauferstele in Apulien aufstellen lassen, wo Friedrich II. im Jahr 1250 gestorben war. Inzwischen verweisen die "Stauferfreunde" stolz auf 31 Stelen. Es gebe auf der Welt "kein vergleichbares Netzwerk monumentaler Geschichtsdenkmäler".
Überlingen wird nicht dazu gehören, auch wenn dem symbolischen Achteck der mannshohen Stele vom Komitee geradezu mystische Bedeutung attestiert wird. Denn Oberbürgermeisterin Sabine Becker lehnt nach Beratung mit ihren Experten und dem Kulturausschuss die Aufstellung einer "Stauferstele" dankend ab. Ein Stück weit besiegelt dies zugleich offiziell das Ende des Attributs "Stauferstadt" für Überlingen. Nach "aktuellem historischem Kenntnisstand" könne man davon nicht sprechen, schreibt Becker.
"Kann man denn irgendwo nachlesen, dass das ein historischer Trugschluss ist?" fragte Stadtrat Ulf Janicke (LBU/Grüne) jüngst nach einem kurzen Bericht im Ausschuss für Bildung und Kultur. Kulturreferent Michael Brunner verwies dazu auf das archäologische Stadtkataster, das die "erste und bisher einzige wissenschaftliche Arbeit" zu diesem Thema und zur Stadtgeschichte sei. Auf die Rückfrage von Lothar Fritz (CDU) zur Jahreszahl 1180, die "ja in allen Stadtführern steht", erklärte Brunner: "Es existiert kein Dokument. Das Denkmalamt geht von einem schleichenden Prozess aus." Was das Thema "Staufer" angeht, so habe Überlingen zwar einmal zu deren Einflussbereich gehört. Es gebe jedoch in der Stadt, so Brunner, "kein Herrschaftszeichen, das ein Selbstverständnis als Stauferstadt begründen würde."
Weshalb Überlingen auf die Stauferstele verzichtet
Mit einem freundlichen Brief lehnt Oberbürgermeisterin Sabine Becker nach Beratung mit ihren Fachleuten und dem Kulturausschuss eine "Stauferstele" ab und schreibt dem Komitee unter anderem, "... dass man Überlingen, vor dem Hintergrund des aktuellen historischen Kenntnisstands, nicht als Stauferstadt ansprechen kann. Seit dem Erscheinen des wissenschaftlichen Archäologischen Stadtkatasters wissen wir, dass die frühere Geschichtsforschung einer Legende aufgesessen ist. Es gab keine Markt- und Stadtrechtsverleihung durch Barbarossa an Überlingen, wie bis vor kurzem nahezu überall nachzulesen war. Aus diesem Grund hat der Gemeinderat einstimmig entschieden, auf die Aufstellung einer Stauferstele in Überlingen zu verzichten."
Das Komitee der Stauferfreunde wurde 2002 gegründet. Vorsitzender ist Andreas Raab, Oberbürgermeister a.D. von Dinkelsbühl. Dem Komitee gehören unter anderem der Denkmalpfleger Georg-Friedrich Kempter, der Schriftsteller Gerhard Raff und der Astronaut Ulf Merbold an. Sie nehmen für sich in Anspruch "im Andenken" an den Tübinger Historiker Hansmartin Decker-Hauff (1917-1992) zu handeln. Die oktogonalen Stelen werden von dem Stuttgarter Bildhauer Markus Wolf aus Jura-Travertin gestaltet und über Spenden finanziert. Inzwischen gibt es 31 Stelen von Fiorentino (Apulien) bis Heilbronn.
Quelle: Südkurier 14.12.2015
Gibt es künftig eine Staufergemeinde Uhldingen?
Nein, Überlingen sei keine Gründung der Staufer, sagt Gunter Schöbel, Chef des Pfahlbaumuseums. Damit widerspricht er dem Überlinger Kulturamtsleiters Michael Brunner, welcher der Ansicht ist, dass in Uhldingen deutliche Spuren vom Adelsgeschlecht zu finden sind.
VON HANSPETER WALTER
Es war zu erwarten, dass sich auf den Beitrag zur Überlinger Ablehnung einer so genannten "Stauferstele" kenntnisreiche Fachleute zu Wort melden würden. Zu eingebrannt sind manche vermeintlichen Fakten oder deren Interpretationen und im Alltag schon zum Allgemeingut geworden, das gerne aufgenommen und weitergetragen wird. Manches wird dadurch nicht richtiger, solange es keinen Nachweis auf der Basis von Fakten gibt.
"Überlingen ist tatsächlich keine Staufergründung", bekräftigt Gunter Schöbel, Chef des Pfahlbaumuseums, die Einlassungen des Überlinger Kulturamtsleiters Michael Brunner. Zwar sei eine vorübergehende Präsenz der Staufer – insbesondere Friedrich II. – durchaus dokumentiert, hatte Brunner betont, auch habe Überlingen zwischenzeitlich zum Stauferreich gehört. Dennoch gebe es weder eine Urkunde zur Verleihung des Marktrechts oder zur Stadtgründung noch irgendein sichtbares materielles Herrschaftszeichen der Staufer. Insofern könne man Überlingen kaum als "Stauferstadt" im engeren Sinne bezeichnen. Die Aufstellung einer Stauferstele sei daher nicht gerechtfertigt.
Schon im Nachbarort Uhldingen-Mühlhofen scheint das etwas anders auszusehen. "Wenn ein Stein gesetzt werden sollte, der an das Wirken des Stauferkaisers Friedrich I., Barbarossa, erinnert", erklärt Schöbel, "dann müsste dieser nach Quellenlage aus meiner Sicht am Nordufer in Unteruhldingen gesetzt werden." Der Archäologe befasst sich nicht nur mit der für das Museum vor allem relevanten prähistorischen Ära von Stein- und Bronzezeit. Schöbel und sein Trägerverein widmen sich neben der Pfahlbaugeschichte ausdrücklich auch der Heimatkunde späterer Zeit. Schöbel: "Hier hat Friedrich I. für das Schifffahrtsrecht am Bodensee unzweifelhafte Spuren hinterlassen."
Das Uhldinger Schifffahrtsrecht müsse im Kontext der Sicherung der bischöflichen Konstanzer Seewege und ihrer Rechte am Nordufer betrachtet werden, betont der Unteruhldinger und wirbt aus diesem Grund gleich für einen Doppelschlag mit Stauferstelen: "Am besten wäre es, zur Verdeutlichung je einen Stein in Uhldingen und einen in Konstanz am Hafen zu setzen."
Schöbel begründet dies mit einer Urkunde des Konstanzer Bischofs, der einen Handel festhält "am Ufer von Uhldingen" ('apud Vldingen in littore laci') am 20. Juni 1225 zugunsten der Zisterze Salem und bereits am 1. April 1212 zugunsten des Zisterzienserklosters Wald. Daraus gehe hervor, "dass der Platz Uhldingen nicht nur für das Reich in der Stauferzeit, sondern auch für das Bistum Konstanz eine besondere Bedeutung besaß".Wobei der Uhldinger Forscher vorsichtshalber gleich einräumt, dass Quellenlage und Bezüge "noch nicht endgültig geklärt" seien. Dazu verweist er unter anderem auf die Historiker Lutz Fenske und Hermann Schmid, die bei der "Zuwidmung" des Schifffahrtsrechts "leicht unterschiedliche Ansätze" verfolgten. Sicher sei dagegen durch die Namensnennung "Uhldingen", dass Kaiser Friedrich Barbarossa zum Unteruhldinger Fährbetrieb und der Schifffahrt auf dem mittelalterlichen Bodensee anlässlich eines Hoftages in Konstanz im Jahre 1179 n. Chr. verfügt habe, "dass die Schifffahrt von Unteruhldingen her seit alters her frei gewesen sei und auf Verlangen etlicher geistlicher und weltlicher Herren wieder in diesen Zustand versetzt worden sei".
Zugleich habe er darin denen mit seinem Bann gedroht, die eine unangemessene Fährgebühr verlangten. "Daraus resultierte die Bedeutung des Hafenortes in einem Ganzjahreshafen", erklärt Schöbel, "der nicht nur römische sondern auch urgeschichtliche Spuren bis in die Steinzeit trägt, für eine Passage nach Süden, am mit 2,3 Kilometer kürzesten Übergang des Überlinger Sees nach Konstanz".
Stolz auf die Stelen
Das Komitee der Stauferfreunde wurde 2002 gegründet. Vorsitzender ist Andreas Raab, Oberbürgermeister a.D. von Dinkelsbühl. Dem Komitee gehören unter anderem der Denkmalpfleger Georg-Friedrich Kempter, der Schriftsteller Gerhard Raff und der Astronaut Ulf Merbold an. Die oktogonalen Stelen werden von dem Stuttgarter Bildhauer Markus Wolf aus Jura-Travertin gestaltet und über Spenden finanziert. Die erste Stele wurde schon im Jahr 2000 in Fiorentino (Apulien) nahe des rätselhaften Castel del Monte aufgestellt, wo Friedrich II. im Jahr 1250 gestorben war. Inzwischen gibt es 31 Stelen von Süditalien bis Heilbronn. Es gebe auf der Welt "kein vergleichbares Netzwerk monumentaler Geschichtsdenkmäler", sind die Stauferfreunde stolz. (hpw)
Quelle: Südkurier 18.12.2015