Erste Deutschlandreise von Friedrich II.

Aufbruch in Palermo am 18. März 1212?

Stauferstele zitiert eine fast zweihundert Jahre alte, längst überholte Behauptung

Laut Stauferstele Justingen brach der siebzehnjährige Friedrich am 18. März 1212 in Palermo auf, um die Herrschaft im römisch-deutschen Reich zu erlangen. Tatsächlich wird dies in einigen Geschichtswerken des 19. Jahrhunderts so behauptet. Allerdings gibt es dafür nicht den geringsten Beweis und in neueren Biografien über den Stauferkaiser ist nicht mehr die Rede davon.


VON PETER KOBLANK (2017)

Angela Gantke, Autorin eines Romans über Friedrich II.,1 die an einem zweiten Werk über den Stauferkaiser arbeitet, wollte Klarheit schaffen. Dazu bat sie einen emeritierten Professor für Geschichte und früheren Präsidenten der Gesellschaft für staufische Geschichte, der als führender Experte für Friedrich II. und seine Zeit gilt, um Aufklärung. Hier seine Expertise vom Februar 2017:

Expertise: Abreise in Messina

Es spricht viel dafür, dass Friedrich von Messina aus nach Deutschland abreiste.2

Dass Friedrich von Messina aus startete, ist aufgrund der damals dort ausgefertigten Urkunden eigentlich sicher. Auch wenn er an der Krönung seines Sohnes in Palermo Ende Februar oder eher am 4. März, dem Sonntag Letare, teilnahm, was wahrscheinlich, aber nicht dokumentiert ist, konnte er die knapp zweihundert Kilometer nach Messina bei günstigem Wetter zu Schiff in zwei, zu Pferd in vier Tagen zurücklegen. Selbst wenn er etwas länger unterwegs war, reichte es also zu einem Aufenthalt in Messina vor dem Start um den 15. März.

Messina war der Platz, an dem vor wenigen Monaten Kaiser Otto zu landen gedachte und den Friedrich damals sicherte und zu verteidigen trachtete. Während seiner bevorstehenden langen Abwesenheit musste er damit rechnen, dass es wieder zum Versuch einer Eroberung von Sizilien von Messina aus kommen könnte, etwa von Seiten des noch vielfach zu seinen Gegnern gehörenden Adels auf dem Festland. Deswegen lag ihm vermutlich daran, vor seiner Abreise gerade mit jenen Gefolgsleuten letzte Absprachen zu treffen, die diesen so wichtigen Platz eventuell verteidigen mussten.

Nicht zuletzt des feindlichen Festlandsadels wegen wählte Friedrich ja auch nicht den Landweg, sondern den Seeweg nach Gaeta, der im Übrigen, gutes Wetter vorausgesetzt, auch bequemer und vor allem schneller war. Letzte Sicherheit darüber, was einen Menschen vor 800 Jahren zu seinem Tun veranlasste, wird man freilich selten erhalten.

Ist Abreise am 18. März in Palermo theoretisch möglich?

Aus den in der Expertise genannten Urkunden3 geht nicht zwingend hervor, dass Friedrich II. Mitte März 1212 von Messina aus nach Gaeta abgereist sein muss:

  • Im März 1212 ließ Friedrich II. drei Urkunden in Messina (Nr. 152-154) und eine in Gaeta (Nr. 157) ausstellen. Auf keiner dieser Urkunden ist der Tag der Ausstellung angegeben.
  • Zwei weitere Urkunden haben keine (Nr. 155) bzw. eine für falsch erachtete Datierung (Nr. 156) und es ist lediglich eine Vermutung, dass diese beiden im März 1212 in Messina ausgestellt wurden. Dass sie auf vor Mitte März datiert werden, ist eine willkürliche Annahme der Herausgeber und kann ganz außer Betracht bleiben.

Daher besteht rein theoretisch die Möglichkeit, dass der damals 18-jährige Friedrich

  • Anfang März noch in Messina war, wo er übrigens auch schon im Januar und Februar 1212 geurkundet hatte4
  • dann aber – möglicher Weise im Zusammenhang mit der Krönung5 seines Sohnes Heinrich (VII.) – in die Hauptstadt Palermo zog
  • und Mitte März 1212 von dort aus nach Gaeta abgesegelt ist.

Existieren Beweise für Abreise am 18. März in Palermo?

Wenn jedoch auf einer Stauferstele steht, dass Friedrich II. am 18. März 1212 in Palermo abgereist sei, geht es im Zweifelsfall nicht darum, ob dies vielleicht so gewesen sein könnte, sondern ob es für diese Aussage irgendwelche Beweise gibt.

Die Abreise am Palmsonntag, 18. März 1212, in Palermo wurde im Jahre 1824 von Friedrich von Raumer in seiner sechsbändigen Geschichte der Hohenstaufen und ihrer Zeit in die Welt gesetzt.6 Seine Behauptung wurde in der ersten Hälfte des 19. Jahrhundert als scheinbare Tatsache gutgläubig weiter kolportiert.7

Raumer hatte insofern Recht, dass im Jahre 1212 der Palmsonntag auf den 18. März fiel. Er hat aber keine Quellen genannt und es sind auch keine bekannt, die beweisen oder zumindest nahelegen, dass Friedrich an diesem Palmsonntag von Palermo aus nach Deutschland absegelte.

Vielleicht kannte Raumer die Annales Ceccanenses, die von der Geburt Jesu bis 1218 reichen und im Kloster Fossanova in der Nähe von Ceccano entstanden sind. Aber auch diese Annalen helfen nicht als Stütze für seine Behauptung, denn sie deuten in Gegenteil darauf hin, dass Friedrich bereits am 17. März 1212 (Palmsamstag) in Gaeta eintraf und schweigen darüber, von wo aus er dorthin aufgebrochen war.8

Da es keine Quellen dafür gibt, ist die von Raumer behauptete Abreise Friedrichs am 18. März 1212 in Palermo als ein aus der Luft gegriffenes Fantasieprodukt einzustufen.

Was steht in den neueren Biografien?

Kein Wunder, dass in den neueren Biografien über Friedrich II. von Raumers Behauptung auch nicht mehr die Rede ist. Hier eine Auswahl mit der jeweiligen Zeit- und Ortsangabe der Abreise Friedrichs von Sizilien:

Ernst H. Kantowicz: Kaiser Friedrich der Zweite. Berlin 1927, Neuauflage: Stuttgart 1998, S. 48.Mitte März 1212
ohne Ortsangabe
Joseph Otto Plassmann: Das Leben des Kaisers Friedrich II. von Hohenstaufen. Jena 1927, S. 11. März 1212
ab Messina
Eberhard Horst: Friedrich der Staufer. Eine Biographie. Düsseldorf 1975, S. 45.März 1212
ohne Ortsangabe
Ernst W. Wies: Friedrich II. von Hohenstaufen. Messias oder Antichrist. Esslingen 2002, S. 49.März 1212
ab Messina
Ekkehart Rotter: Friedrich II. von Hohenstaufen, München 2004, S. 37.März 1212
ohne Ortsangabe
Hubert Houben: Kaiser Friedrich II. (1194-1250) Herrscher, Mensch und Mythos. Stuttgart 2007, S. 34.März 1212
ab Messina
Ingo Runde: Konstanze von Aragon. In: Amalie Fößel (Hrsg.): Die Kaiserinnen des Mittelalters. Regensburg 2011, S. 232–248, hier: S. 238.März 1212
ab Messina
Olaf B. Rader: Friedrich II. der Sizilianer auf dem Kaiserthron. Messias oder Antichrist. München 2012, S. 75.März 1212
ohne Ortsangabe

Stauferstele muss sich auf Fakten beschränken

Es ist inakzeptabel, dass auf einer Stauferstele die Abreise Friedrichs am 18. März 1212 in Palermo – ein Fantasieprodukt aus dem Jahre 1824, das heute kein Historiker mehr ernst nimmt – als Tatsache dargestellt wird.

Wissenschaftlich korrekt müsste auf der Stele stehen: AUFBRUCH IN SIZILIEN · MÄRZ 1212

Die Autorin Angela Gantke, die diese Untersuchung ausgelöst hat, teilte auf Nachfrage mit, dass sie in ihrem neuen Buch den künftigen Kaiser nach all diesen Erkenntnissen von Messina aus nach Deutschland aufbrechen lassen wird. Wofür ja auch, so die zitierte Expertise, vieles spricht.


1.  Angela Gantke: Er lebt und lebt nicht. Traumbuch über Kaiser Friedrich II. Dessau-Rosslau, 2012.
2.  Hubert Houben, Kaiser Friedrich II. (1194-1250) Herrscher, Mensch und Mythos, Stuttgart 2007, S. 33.
3.  MGH DD F II.1 Nr. 152-157.
4.  MGH DD F II.1 Nr. 147-151.
5.  RI V,1,2 n. 3835c.
6.  Friedrich von Raumer: Geschichte der Hohenstaufen und ihrer Zeit, Band 3. Leipzig 1824, S. 176. Das Buch ist mit der Schriftart Fraktur gedruckt, der von Mitte des 16. bis Anfang des 20. Jahrhunderts meistbenutzten Druckschrift im deutschsprachigen Raum. Der abgebildete Absatz lautet: "Sobald, diesen Ansichten gemäß, Konstanze zur Regentinn des Reiches ernannt und der junge Heinrich als Thronerbe gekrönt war, segelte Friedrich am Palmsonntage, den 18ten März 1212, von Palermo ab, landete bei Gaeta und ordnete mehrere Geschäfte in Benevent."
7.  Johann Samuel Ersch/Johann Gottfried Gruber (Hrsg.): Allgemeine Encyklopädie der Wissenschaften und Künste in alphabetischer Folge. Dritte Section O-Z, Leipzig 1837, S. 486.

Friedrich Rehm: Abriss der Geschichte des Mittelalters. Lehrbuch zu Vorlesungen an Universitäten und oberen Gymnasial-Classen. Kassel 1840, S. 455.

Johann Georg August Wirth: Die Geschichte der Deutschen, Band 2. Konstanz 1842, S. 285.

8.  RI V,1,1 n. 659a.

Stauferstele Justingen

Errata der Stauferstelen

Angela Gantke: Er lebt und er lebt nicht